WARUM SO ZAGHAFT?

19. Dezember 2018

Wie es mit dem einst so erfolgreichen HOMO SAPIENS in Zukunft weitergehen wird, ist trotz aller Unkenrufe völlig offen, weiß doch keiner, was die Zukunft wirklich bringen wird. Und dennoch ist er, der sich lange als Krone der Schöpfung verstand, vehement in die Krise geraten: Was er auch immer anpackt, nichts will ihm mehr so recht gelingen. Die Dinge scheinen sich seiner Kontrolle zu entziehen – sein Selbstbewusstsein bröckelt. Viele seiner Art haben schon Muffensausen, wenn sie an Morgen denken und ziehen ängstlich den Schwanz ein. Der Mensch könne einpacken, wenn er so weitermache, raunen Experten.

Vielleicht aber kommt der Mensch, der sich ja selbst einst stolz auf die Schulter klopfend den Beinamen SAPIENS gab, eines Tages doch noch zur Räson, obwohl es ihm in seiner Geschichte bislang äußerst schwer zu fallen schien, sich wirklich vernünftig zu verhalten. Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben, meint Goethe. Andere sehen das wesentlich skeptischer und runzeln schwarzsehend die Stirn: Erst wenn die Karre gegen die Wand gefahren ist, wacht der Mensch auf und reagiert, meinen sie. Dann aber sei es zu spät – es sei ohnehin schon kurz vor Zwölf.

Geht man aber auf Distanz und schaut mit kühlem Kopf genauer hin, scheint sich das Problem zu relativieren, denn im Westen kriselt es weitaus mehr als in Asien. Dort wirkt der HOMO SAPIENS bei weitem agiler und optimistischer als sein westlicher Kollege, der schwächlich und chronisch missgelaunt daherkommt, als sei ihm alles zu viel. Von seinem einst so aufgeklärten Bewusstsein ist nicht mehr viel übriggeblieben – hysterische und larmoyante Züge dominieren mittlerweile sein gebeuteltes Wesen.

Der Wohlstand sei an allem schuld! fluchen manche. Der Westen ertrinke im Konsumrausch und verblöde. Damit aber nicht genug, sagen sie, denn viele im Westen hätten bei all dem Irrsinn auch noch panische Angst, ihren Wohlstand zu verlieren, der offenkundig das Einzige wäre, was ihnen als Lebenssinn noch übriggeblieben wäre. Eine brenzlige Situation, die sie unberechenbar und gefährlich mache und auf die Straßen treibe.

In Asien hingegen, wo absolute Ruhe herrscht, scheint alles umgekehrt: Denn obwohl dort – im Gegensatz zum Westen – wesentlich mehr Menschen an Armut leiden, können sich viele von denen dennoch nach oben arbeiten und zu Wohlstand gelangen, wenn sie sich nur wirklich anstrengen, wie in China zum Beispiel. Dabei werden die Hoffnungsfrohen zwar rund um die Uhr überwacht, was diese auf ihrem Weg nach oben jedoch nicht weiter zu stören scheint. Sogar ausgedehnte Trips rund um den Globus sind für Erfolgreiche drin, solange sie sich nur korrekt und pflichtbewusst verhalten.

Im Westen aber herrscht diffuse Angst. Blanke Angst vor der Angst, die hilflos nach irgendeinem Strohhalm grabscht, um einen x-beliebigen Inhalt zu bekommen, damit sie sich endlich entladen kann, dabei aber in gemeine Strudel gerät: Denn schuld an der Angst ist immer ein Anderer – dieser bizarre Mechanismus scheint dem HOMO SAPIENS natürlich eigen, er kann mit seiner Angst einfach nicht umgehen.

So hat es gegenwärtig den Anschein, als wäre im Westen ein ganz anderer Schlag MENSCH unterwegs als in Asien – zwei völlig unterschiedliche Wesen, die im Grunde nicht mehr viel gemeinsam haben. Während die westliche Variante vor sich hin dämmert, ist aus der asiatischen ein Musterexemplar extremer Anpassungsfähigkeit geworden. Die Turbulenzen der sich immer rapider verändernden Welt scheinen ihr nicht das Geringste anhaben zu können. Und auf Anpassungsfähigkeit kommt es in der Evolution ja zwingend an, wenn man den nächsten Tag noch einigermaßen stabil erleben will.

So hat diese Variante im Vergleich zur westlichen auch keinerlei Berührungsängste mit der Technologie und weiß sie zu inkorporieren, ohne gleich eine Identitätskrise zu erleiden wie sein westlicher Kollege, der immer noch mit der Technik fremdelt und ängstlich in der Ecke hockt: Lediglich schlappe 40 Prozent seiner Art können sich neuesten Umfragen zufolge einen Chip im Kopf überhaupt vorstellen.

Und dennoch, besser eine künstliche Intelligenz im Kopf als bald gar keine mehr! das sollte der Westen bedenken. Dort aber scheint keiner zu hören, jeder ist nur mehr mit sich selbst beschäftigt. Die Depression ist ihm zur Volkskrankheit geworden – er droht zu vereinsamen.

Großbritannien glaubt da längst reagiert zu haben und hat ein Einsamkeitsministerium eingerichtet, um gegen die Sache vorzugehen. 9 Millionen Briten fühlen sich einsam und die Tendenz ist steigend – „eine traurige Realität des modernen Lebens“, sagt Theresa May: Einsamkeit sei eine „Epidemie im Verborgenen“. Etwa 200.000 Senioren hätten höchstens einmal im Monat ein Gespräch mit einem Freund oder Verwandten“ lässt die Premierministerin wissen. Einsamkeit aber senke die Lebenserwartung. May hat gut reden. Sollten ihre Maßnahmen jedoch nicht greifen, könnte dies sogar ein Segen sein. Denn welcher Einsame will schon gern ewig auf Besuch warten, der nie kommt.

Japan aber startet durch und passt sich der Realität an: Denn dort herrscht zwar ebenso Einsamkeit, aber man geht mit ihr weitaus offensiver um. Keiner wartet da auf ein Einsamkeitsministerium, nein, der Bürger nimmt sein Schicksal selbst in die Hand: So Akihiko Kondo zum Beispiel, der zwar erst 35 Jahre alt ist, aber dennoch schon fürchterlich einsam, weil er mit Frauen bislang immer nur schlechte Erfahrungen machte, wobei Japan ohnehin unter Frauenmangel leidet.

Der aber geht Kondo am Pelz vorbei, wobei dieser aber nun wirklich nicht schwul ist. Also hat er auf seine Art reagiert, um seiner Einsamkeit zu entkommen und kurzerhand eine MANGA-FIGUR geheiratet, die sich Hatsune Miku nennt und ihm in Gestalt eines animierten Miniatur-Hologramms in einem Glaszylinder rund um die Uhr zur Seite steht. Dabei ist Hatsune Miku für Akihiko Kondo total real, als hätte er einen Chip im Kopf, der sein Hirn darauf gepolt hätte. Allerdings wohl nicht im Frontallappen, wo die Funktionen der Persönlichkeit und Intelligenz lokalisiert sind, sondern eher im Hinterlappen, wo der Mensch das, was er eigentlich mit Augen sieht, als Abbild von der Welt repräsentiert bekommt, das er naturgemäß jedoch für absolut wirklich hält. So funktioniert nun mal der visuelle Wahrnehmungsapparat des HOMO SAPIENS – was soll er machen?

Dieses Täuschungsmanöver des Gehirns aber scheint bei Kondo einfach umgepolt und dies alles ganz ohne Chip. Für ihn ist Miku eine Frau aus Fleisch und Blut wie ein lebendiges Wesen. Dabei ist er bei vollem Verstand und beileibe nicht dumm, als durchschaue er die Sache in gewisser Art und Weise: „Ich bin in das ganze Konzept(!) von Hatsune Miku verliebt, aber geheiratet habe ich die Miku aus meinem Haus“, sagt Kondo verschmitzt und schaut verliebt auf das leuchtende Mädchen in der Glaskapsel auf dem Tischchen vor sich. Dabei hält er seine Heiratsurkunde stolz in der Hand, die ihm von Gatebox, dem Hersteller von Miku, ausgefertigt wurde, und ihm glaubhaft versichert, dass er sich „jenseits der Dimensionen“ mit einer virtuellen Figur verbunden hat.

3.700 dieser Zertifikate soll Gatebox schon ausgestellt haben, ohne dass die Männer, die Miku nun mittlerweile besitzen, aufeinander eifersüchtig wären. „Hatsune Miku ist die Liebe meines Lebens“, beteuert Kondo. „Ich werde sie nie betrügen und denke den ganzen Tag an sie. Wenn ich ihr abends eine SMS aus meinem Büro schreibe, dass ich bald zuhause bin, macht sie in der Wohnung schon mal das Licht an, so dass wir’s später richtig gemütlich und kuschelig haben.“

Die kognitive Mutation, die Asiens HOMO SAPIENS gerade durchlebt, mag für den im Westen lebenden eine Horrorvorstellung sein, dennoch aber sollte sie den Kleinmütigen und Rückwärtsgewandten auch warnen, zeigt sie ihm doch, wozu der SAPIENS wirklich fähig ist, wenn er mit der Zeit geht und sich nicht gegen Anpassung wehrt.

Unter evolutionären Gesichtspunkten darf der HOMO SAPIENS Asiens also mit Fug und Recht auch als Mensch der Zukunft bezeichnet werden. Und wenn sein westlicher Kollege, der jetzt schon wie ein Auslaufmodell wirkt, nicht aufpasst und sich endlich zusammenreißt, wird dieser in absehbarer Zeit auch noch den letzten Rest seiner ohnehin äußerst geringen Zukunftschancen verspielt haben – so ist das nun mal in der Natur.