DER REALITÄT GEHT DIE LUFT AUS
Querdenken
Eine wirklich gespenstische, aber auch besonders aggressiv anmutende Krise hat gegenwärtig die westlichen Gesellschaften ereilt: Eine veritable Realitätskrise nämlich, die mit der Frage, was real sei und was nicht, viele Menschen mächtig auf die Palme bringt und zunehmend zu verwirren scheint. Und dies beileibe nicht nur solche Charaktere, die sich in randständigen, hochextremen Gruppierungen tummeln und sich ohnehin nach einer anderen Wirklichkeit sehnen, weil sie ein rigides, autoritäres Menschen- und Weltbild mit sich herumtragen. Sondern mittlerweile auch zunächst völlig unauffällig erscheinende Zeitgenossen, die mitten in der Gesellschaft stehen, sich nun aber – scheinbar wie aus heiterem Himmel – der allgemein-virulenten Marotte angeschlossen haben, die Realität so wie sie ist, einfach nicht mehr gelten lassen zu wollen.
Vor dieser manischen Gedankenspreizung, die Realität gegen den Strich zu bürsten, scheint auch Intelligenz kaum zu schützen. Denn selbst Menschen, denen man solch ein Denken nie zugetraut hätte, reden auf einmal daher, als litten sie unter einer progredienten Realitätsverkennung. Dass kognitive Verschiebungsprozesse dieser Art, die bei manchen sogar schon an eine ausgeprägte Realitätsverweigerung erinnern, für das gesellschaftliche Selbstverständnis nicht folgenlos bleiben, zeigt sich insbesondere in Krisensituationen wie der gegenwärtigen COVID-19-Pandemie, die das Realitätsempfinden so mancher offenbar derart auf die Probe stellt, dass diese das schier unglaubliche Geschehen kurzerhand auszublenden versuchen und sich, je nach Charakter, eine andere, zu ihrem verquasten Denken passende Welt ausdenken, in der auf einmal alles mit rechten Dingen zugeht. Wer mit der Wirklichkeit nicht mehr zurecht kommt, schafft sich heutzutage einfach seine eigene – eine neue Art von Volkskrankheit, die sich da anzubahnen scheint.
COVID-19 ist nichts anderes als eine Grippe.
Mit der Impfung sollen alle Menschen gleichgeschaltet werden und zur Ameise werden.
Ominöse Eliteschweine klauen uns unsere Kinder und trinken deren Blut, um ewig jung zu bleiben.
Bill Gates ist an allem schuld.
EIN GLEICHNIS, DAS ES IN SICH HAT
Doch derart widersinnige, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zersetzende Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse sind wahrlich nicht neu in der Bewusstseinsgeschichte des Menschen, zeigt sich dieser doch besonders anfällig dafür, das Unwirkliche manchmal mit dem Wirklichen zu verwechseln. So bezichtigte schon Plato in seiner Schrift über den „Staat“ die Sophisten, die im vierten Jahrhundert v. Chr. in der altgriechischen Polis wirkten, das fragile Wirklichkeitsbewusstsein der Athener Bürger böswillig zu manipulieren, um diese vom Weg der Demokratie abzubringen und auf ihre Seite zu ziehen.
Um die staatszersetzenden Manipulationen der Sophisten zu veranschaulichen, habe Plato, dem Philosophen Hans Blumenberg zufolge, deren Methoden, die Menschen geistig hinters Licht zu führen, in seinem Höhlengleichnis überaus anschaulich beschrieben und diese als wahre Meister übelster Verstandesblendung bloßgestellt. In einem Gleichnis, in dem sich die Menschen, ohne es zu wissen, in einer Höhle wiederfinden, wo diese festangekettet und im Nacken fixiert am Boden hocken, und die Dinge der Wirklichkeit, die sie vor sich auf der Felswand lediglich als Schattenspiele sehen können, gezwungenermaßen mit der Realität verwechseln. Einzig und allein, weil sie sich zum tatsächlichen Geschehen, das sich in Wahrheit hinter ihrem Rücken abspielt, einfach nicht umdrehen können. Folglich halten sie die Schemen der Dinge wie selbstverständlich für die Realität.
In diesem Sinn wären die Sophisten „Erzeuger von Bildern, mit deren Hilfe diese Irreales für Realität ausgeben würden, wobei sie sich selbst im Dunkel des Hintergrunds hielten, um sich ganz auf die Faszination ihrer manipulativen Mittel zu verlassen. Das rhetorische Wort rückt von der Seite des Logos auf die Seite der Bilder“, so Blumenberg. (1)
Auf die Seite jener Bilder also, die die Menschen glauben lassen, dass sie die Realität abbildeten. Dass das menschliche Wirklichkeitsbewusstsein auf solch abgefeimte Täuschungsmanöver hereinfällt, veranschaulicht Platos Höhlengleichnis auf erschreckende Art und Weise. Denn in dieser vertrackten Situation hat der kritische Verstand des Menschen keinerlei Chance zu intervenieren. Er wird von vorneherein ausgehebelt und kommt gar nicht erst ins Spiel: Die Macht der Gewohnheit obsiegt.
Die Analogie zur Gegenwart, in der das Virtuelle ja ohnehin schon mehr und mehr an die Stelle des Realen tritt, ist frappierend. Hat Plato doch schon vor mehr als zweitausend Jahren die Schwäche des menschlichen Wahrnehmungsbewusstseins drastisch offengelegt, und diese Tatsache als eine enorme Gefahr für jedwede Art von Gesellschaft ins Zentrum seiner Betrachtungen gerückt. Vor allem dann, wenn gerissene Demagogen durch wirkmächtig-gefälschte Bilder (und gestanzt-verlogene Reden) die Realitätsschwäche des Menschen derart missbrauchen würden, dass dieser (praktisch unbewusst) die Fronten wechsele, um mit den Demagogen gemeinsame Sache zu machen.
DIE ROTE PILLE
Und auch heute noch scheinen derart intrikate Methoden bestens zu funktionieren. Dabei allerdings noch wesentlich perfider als es sich Plato damals hat vorstellen können, da man es dieser Tage doch schon relativ erfolgreich versucht, eine Lüge durch eine weitere als wahr erscheinen zu lassen: So gibt es gegenwärtig auf Instagram Postings, die unter Hashtags wie #rettetdiekinder engagiert und hochseriös vor Kindesmissbrauch warnen. Deren Botschaften richten sich vor allem an besorgte Mütter, die in den sozialen Netzwerken zum Thema Kindesmissbrauch miteinander rege in Kontakt stehen. Diese Postings aber hat QAnon längst unterwandert und heimtückisch mit entsprechenden Verschwörungstheorien durchsetzt, die behaupten, dass eine dämonische Elite die Kinder dieser Mütter einfangen wolle, um sich an deren Blut zu laben wie an einem Jungbrunnen. Woraufhin viele der Mütter offensichtlich derart in Panik geraten, dass sie auf diesen Irrsinn prompt hereinfallen und so zu QAMOMS werden, die wahre Superspreader dieser blödsinnigen Verschwörungstheorie sind.
Um die Wahrheit dieser aberwitzigen Lüge aber auch anderen gegenüber als wahr zu verkaufen, behaupten die Anhänger der QAnon-Bewegung nassforsch, die rote Pille geschluckt zu haben, die sie dazu befähigt habe, die Wahrheit hinter den Dingen zu erkennen. Dass es derartige Pillen allerdings nur im Film Matrix gibt, scheint viele jedoch nicht die Bohne zu interessieren. Allein schon der Gedanke an solche Megapillen scheint in deren Köpfen wahre Wunder zu bewirken, sodass sie in diesem psychopharmakologischen Hinweis den Beweis dafür sehen, dass die QAnon-Blutstory nicht frei erfunden sein kann. Aus diesem Grund ist es auch nicht ganz unwahrscheinlich, wenn es manche dieser jetzt restlos Überzeugten nicht schon versucht hätten, sich rote Pillen im Darknet zu beschaffen.
Dass das Gehirn des Menschen aber selbst zu solch verquerer Akrobatik fähig ist, müsste bei vielen eigentlich die Alarmglocken schrillen lassen. Eine Tatsache, deren wahre Konsequenzen diese aber offenbar nicht auf dem Schirm haben, und solche Menschen vorschnell für verrückt erklären. Dabei aber sind diese im Grunde (erst einmal) stinknormal. Und dennoch scheint der demagogisch-kognitive Doppelsprung, mit einer Lüge die andere zu beweisen, bei diesen seine Wirkung nicht zu verfehlen.
In diesem Kontext also von dummen Menschen oder gar Spinnern zu reden, die einfach nur irgendwie überreagieren würden, ist mehr als voreilig, unterliegen diese doch auf fatale Art und Weise der Labilität ihres Realitätsbewusstseins, die im Prinzip jedem Menschen zu eigen ist. Gleichsam natürliche kognitive Prozesse also, die unter bestimmten psycho-sozialen Bedingungen unversehens ins Irrationale abgleiten und sich rasch bis ins Wahnhafte steigern können. Vor allem dann, wenn Menschen den Boden unter den Füssen verloren haben und sich nicht mehr selbstkritisch gegenüberstehen.
So ist die Tendenz, sich unversehens in archetypische Denkmuster hineinzusteigern, dem menschlichen Gehirn offenbar immer noch eigen: Aber das erscheint wenig erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sich dieses in den letzten zehntausend Jahren im Grunde nicht weiterentwickelt und seine Neigung zum mystifizierenden Denken beileibe nicht verloren hat. Eine zerebrale Malaise der menschlichen Wahrnehmungsfunktionen, die das hysterisch-aufgeheizte Geschehen, das in diesem Zusammenhang da gerade die westlichen Gesellschaften durcheinanderbringt, in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.
DIE GEGENWÄRTIGE REALITÄT MACHT VIELE KONFUS
Bei all dem gegenwärtigen Aberglauben aber sollte man nicht vergessen, dass auch das Wirkliche selbst für den Menschen noch immer ein Rätsel ist. Wobei manche Quantentheoretiker sogar so weit gehen, von kollektiven Halluzinationen zu sprechen, wenn sie nach dem menschlichen Wirklichkeitsbewusstsein gefragt werden, das in seiner Geschichte ja schon eine Unzahl von Wirklichkeitsmodellen hervorgebracht hätte, ohne letztendlich wissen zu können, was die Wirklichkeit denn eigentlich wäre.
Vor diesem Hintergrund erscheint es deshalb völlig plausibel, wenn der Mensch erst dann von „Realität“ spricht, wenn viele andere die Dinge ebenso sehen wie er selbst. Insofern gleicht das sogenannt Reale auch immer einer kollektiven Verabredung von Gleichgesinnten, die sich ihrer Wahrnehmung gegenseitig vergewissern wollen: Kollektiv generierte Überzeugungen von dem, was als „Wirklichkeit“ gelten soll, die in ihrer bestimmten Begrifflichkeit, Qualität und Substanz also immer auf Mehrheiten beruhen. So als hätte der Menschen ein instinktives Wissen darüber, seinen Augen nicht hundertprozentig trauen zu dürfen. Mehrheiten aber sind nicht immer die stabilsten und können sich rasch ändern, wie die Geschichte zeigt.
Aber auch das Bild, das sich der Mensch von sich selbst macht, die Art und Weise also, welche Vorstellungen er von seiner Natur und seinem Wesen hat – von dem, was er ist und wie er sein soll, ist höchst relativ und immer auch historisch gebunden: „Die Einbildungskraft ist für unsere Selbstbestimmung unüberschreitbar zentral. Denn wer oder was der Mensch ist, wird nicht durch Fingerzeig auf irgendeine, allen Menschen eignende Eigenschaft geklärt. Wer wir sind und wer wir sein wollen, ergibt sich ausschließlich im historisch, synchron und diachron prinzipiell extrem variablen Konzert unserer Selbstvorstellungen.“ (2)
In diesem Sinne ist der Mensch in toto ein absolut plastisches Wesen, dessen Denken und Fühlen ganz entscheidend von den konkreten Gegebenheiten und Umständen der Zeit, in die er hineingeboren wird, geprägt werden. So sind auch dessen Gefühle in einem gewissen Sinne historischen Charakters. Denn auch diese unterliegen den gesellschaftlichen Einflüssen, die sich in Raum und Zeit verändern. Dies aber bleibt dem Menschen in aller Regel verborgen, täuscht ihm dessen Bewusstsein doch vor, ein völlig eigenständiges und unabhängiges Individuum zu sein.
Das Sein bestimmt das Bewusstsein und nicht umgekehrt: Marx hat es auf den Punkt gebracht. Glaubte der Mensch noch vor Jahrhunderten magische Kräfte in der Natur am Wirken zu sehen, nimmt er sie heutzutage eher als Instagram-Kulisse wahr, die er durch seine Selfie-Brille betrachtet – mit einem doppelt gespiegelten Blick auf sich selbst, mit dem er versucht, sich der Natur gegenüber im Selbstportrait tautologisch auf den Begriff zu bringen: Er mit den Dingen um sich herum und seinem Ich!
Deshalb ist es auch wenig erstaunlich, wenn das ohnehin schon relativ instabile Realitätsbewusstsein des Menschen allmählich Risse bekommt. Vor allem in Zeiten, in denen dessen Bewusstsein praktisch unablässig mit Reality Shows, Augmented Reality, 3-D-Computergrafik und VR-Brillen, die laut APPLE bald das Smartphone ersetzen sollen, bombardiert wird – hin und her gerissen zwischen realen und irrealen Erlebniswelten. Der kollektive Blick gerät ins Taumeln und vereinzelt sich mehr und mehr in virtuelle Sphären starrend, die ihm zunehmend wesentlich realer erscheinen als Mensch und Ding draußen in der Welt. Platos Höhlengleichnis lässt grüßen – die Macht der Gewohnheit: Der Mensch fällt auf sich selbst herein und kann offenbar nicht mehr anders.
Dass diese gesamtgesellschaftliche Situation, die die kritischen Sinne der Menschen mächtig auf die Probe stellt, aber nun auch die aberwitzige, weil letztlich nicht zu beantwortende Frage nach der „wahren“ Realität provoziert, scheint der allgemeinen Verwirrung zu entsprechen. Eine im Grunde völlig irre, ja geradezu schizoide Alltagsdebatte, die allerdings vor allem von jenen Charakteren mächtig angefeuert wird, die vom Leben aus den unterschiedlichsten Gründen ohnehin schon einigermaßen angefressen sind und den Dingen schwer misstrauen. Glauben diese doch jetzt ganz offenkundig, die allgemeine geistige Konfusion für sich ausnutzen zu können, um ihre von Kleinmut, Spießigkeit und Rigidität geprägten Weltbilder anderen ins Hirn einzumeißeln. Natürlich über die sozialen Medien, denn dort wird ja bekanntermaßen so manches schnell wahr, obwohl es erstunken und erlogen ist.
QUERDENKEN SOLL HELFEN
Es ist eine völlig diffuse Masse aus fundamentalen Christen, Jesus-Freaks, Esoterikern, Menschen, die von Diktatur und Impfpflicht sprechen, Reichsbürgern und Neonazis, zu denen sich allerdings auch mehr und mehr scheinbar völlig harmlose Zeitgenossen hinzugesellen, die da gegenwärtig wie besessen damit beschäftigt sind, das derzeit herrschende Realitätsverständnis der westlichen Gesellschaften gehörig durcheinanderzuwirbeln. Einzig vereint durch die Parole: Dagegensein ist alles!
Dieser Eindruck sieht sich insbesondere auch durch eine Studie des Soziologen Oliver Nachtwey der Universität Basel bestätigt, der erstmals die Einstellungen und Haltungen der sogenannten Querdenken-Bewegung untersuchte. Eine in sich extrem widersprüchliche Bewegung in welcher der Anteil von Wählern der Grünen, der AfD und der Linkspartei ausgesprochen hoch sei, wie Nachtwey feststellt. Für diese sei es „weniger wichtig wogegen man ist, sondern dass man dagegen ist", so der Soziologe.
Bei den Querdenkern handele es sich überraschenderweise um ein relativ akademisches Aktionsbündnis, dessen Durchschnittsalter 47 Jahre betrage. 31 Prozent hätten Abitur, 34 Prozent einen Studienabschluss, und der Anteil Selbstständiger sei deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Typisch für diese Bewegung, die mitten aus der Gesellschaft heraus agiere, seien allerdings auch antisemitische Vorurteile, wohingegen autoritäres Denken, Fremdenfeindlichkeit oder die Verharmlosung des Nationalsozialismus weniger verbreitet sei.
In diesem Zusammenhang befördert die Studie aber auch einen wirklich überraschenden Befund zutage: Und dieser besagt, dass die Querdenker nach eigener Aussage einen ausgesprochenen Hang zur Naturromantik hätten: Deshalb vertrauten 41 Prozent der Befragten mehr ihren Gefühlen als Fakten; insbesondere denen von Institutionen oder Experten der Wissenschaft.
Ein wahrlich bemerkenswerter Hinweis, der etwas Licht ins Denken dieser Querdenker bringt. Obwohl schon allein der Name, den sich diese selbst gegeben haben, im Prinzip in die richtige Richtung weist. Denn ein Denken, dass sich selbst in die Quere kommt, blockiert den Fluss der Gedanken, was wohl dabei helfen soll, nicht weiterdenken zu müssen, weil man sich den Dingen ohnehin entgegenstellen will. Also will man „schräg“ oder „übereck“ denken, so als wolle man seine Gedanken gegen den Strich bürsten, und diese umgehend dahin befördern, wohin man sie haben will. Hätten die Querdenker etwas weniger quergedacht, hätten sie sich diesen Namen sicherlich nicht gegeben.
In diesem Kontext aber erscheint der Hang zur Naturromantik, mit dem sich die Querdenker zu definieren versuchen, auf einmal gar nicht mehr so erstaunlich. Denn ganz offensichtlich sind es deren Gefühle, die ihnen das Um-die Ecke-Denken zur zweiten Natur haben werden lassen. Ein klischeehafter Gefühlsdunst allerdings, der ihnen beim Entwirren der Wirklichkeit, die sie völlig zu überfordern scheint, da behilflich sein soll. Offenbar unfähig zu klaren und unmittelbaren Empfindungen, die ihrem Denken jedoch ohnehin längst fremd geworden sind.
Trotz allem aber hat deren Selbsteinschätzung auch schon wieder etwas Rührendes, da deren verquaste Natureindrücke an ein schwer gerahmtes Landschaftsbild überm Sofa erinnern, auf dem sich unter einem lieblichen Abendhimmel mit aufgeplusterten Wölkchen sanfte Hügelketten wellen, mit sattgrünen Wäldern und verschnörkelten Flussauen, auf deren blumenübersäten Wiesen niedlich Rehe grasen.
Dass diese Querdenker allerdings mit solch einem gefühlsduseligem Denkbrei unterwegs sind, wenn es darum geht, die Welt zu begreifen, erschreckt dann doch, und lässt noch eine ganz andere Variante der Täuschungsmöglichkeiten des menschlichen Wirklichkeitsbewusstseins unmittelbar anschaulich werden: Wahrnehmungsmodi und Denkprozesse nämlich, die offenbar zur Gänze von verschrobenen Gefühlen derart überlagert und beherrscht werden, dass ein aufmerksames und kritisches Denken als Gradmesser der Weltbetrachtung damit praktisch unmöglich geworden ist. Gesteuert nur noch von kruden Bauchgefühlen, die an einen großen Wackerstein erinnern, der diesen „Querfühlern" offenbar schwer im Magen liegt.
Diese kognitiven Prozesse aber pathologisch zu nennen, ist, wie schon angemerkt, mehr als kurzsichtig. Denn offenbar macht das menschliche Gehirn auch in gesundem Zustand derartig bizarr anmutende Verirrungen möglich. Eine geistig-mentale Entwicklung, die angesichts ihrer zunehmenden gesellschaftlichen Verbreitung schon allein für sich nichts Gutes erahnen lässt. COVID-19 sei eine Bagatelle, sagen nicht wenige und sterben dennoch daran wie viele andere. Wenn so das zukünftige kognitive Rüstzeug aussehen soll, mit dem der Mensch versucht, dem Klimawandel entgegenzuwirken, dann gute Nacht.
(1) Hans Blumenberg: Realität und Realismus. Suhrkamp-Verlag. Berlin, 2020.
(2) Markus Gabriel: Fiktionen. Suhrkamp-Verlag. Berlin, 2020.