Gesellschaft / 21
Ab durch die Mitte

20. August 2020

Die neue, alle vier Jahre erscheinende SINUS-Jugendstudie lässt einen ziemlich verdattert zurück. Denn obwohl deren Ergebnisse statistisch gesehen nicht wirklich repräsentativ sind, ist diese aufgrund ihrer Methode, Jugendliche in langen und äußerst persönlichen Interviews ausführlich und mehrfach zu befragen, jedoch überaus aussagekräftig, weil sie deren Gedanken, Gefühle und Wünsche wie kaum eine andere vergleichbare Studie besonders eindrücklich und tiefenscharf zum Ausdruck bringt.

Und diese haben es nun wirklich in sich: Denn offenbar treten viele der 14- bis 17-Jährigen heutzutage die Flucht nach vorn an, wenn sie sich mit ihrer Zukunft konfrontiert sehen – weit davon entfernt, später einmal ihr eigenes Ding machen zu wollen, was ja eigentlich typisch wäre für Kids in diesem Alter.

SO SEIN WOLLEN WIE ALLE

Wer glücklich werden will im Leben, muss seine Eltern enttäuschen! Solch provokant-rebellische Thesen, die auf der Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens beruhen, scheinen für die Jugendlichen von heute Schnee von gestern: Ein Leben also, das erst einmal nur durch Wachsamkeit sich selbst gegenüber zu haben ist, und es beizeiten gelernt hat, auf seine innere Stimme zu hören.; mit der Fähigkeit im Herzen, sich natürlicherweise von den Dingen abzugrenzen, sich aber dennoch in ihnen auch verlieren zu können. Aufmerksam, warmherzig und neugierig der Welt zugewandt, ohne dabei den Kosmos aus den Augen zu verlieren; und immer auch in selbstverständlicher Distanz zu allem Bestehendem, seien es nun die gesellschaftlichen Verhältnisse oder der eigene Weg, auf dem man sich im Leben gerade befindet.

Solch ein offener Sinn wäre allerdings erst die Voraussetzung dafür, einigermaßen heiter, gelassen, aber auch bedacht durchs Leben zu gehen. Denn natürlich geht das nur mit anderen zusammen - ohne diese wäre die Welt leer. Und die Seele blind, der Kopf kalt. Sein Selbst und den Raum darum herum könnte man nie erfahren: Ohne Gegenüber kein Ich. Und ohne Ich keine Gesellschaft. Mit dieser Gewissheit im Herzen würde die Welt frei. Denn ohne Freiheit sich selbst gegenüber kann es auch keine freiheitliche Gesellschaft geben.

Von solch einem Quatsch aber lassen sich die Kids von heute nicht mehr hinterm Ofen hervorlocken. Denn gegenwärtig sehnen sich diese erschreckenderweise eher nach einem harmlosen, im Grunde unbedeutenden Leben. Deshalb favorisieren sie auch ausgerechnet den Mainstream, der für sie mittlerweile durchaus attraktiv und darüber hinaus beileibe kein Schimpfwort mehr ist, wie die Studie ausführt. Ganz im Gegenteil: Für die Kids wäre „der Mainstream heutzutage ein Schlüsselbegriff hinsichtlich ihres Selbstverständnisses, da sie (nun eben) so sein wollten wie alle." Also nichts Besonderes, könnte man hinzufügen – abgetaucht und versteckt in der Masse.

So hat es den Anschein, als wollten sich die Kids dieser Tage vor der eher düster anmutenden Zukunft einfach wegducken und künftig auch nicht mehr groß aus der Reihe tanzen, um später einmal eine ruhige Kugel zu schieben. Denn solch ein anspruchsloses und eher angepasstes Leben scheint diesen heutzutage wesentlich wichtiger, als fürderhin selbstverantwortlich und engagiert für ihre Ambitionen und Überzeugungen einzustehen und, wenn nötig, auch zu kämpfen. Die Energie des jugendlichen Überschwangs ist in ihnen offenbar versiegt.

Dabei scheinen sie sowohl die Einzigartigkeit, die sie als Individuum auszeichnet, als auch die mannigfachen Entfaltungsmöglichkeiten, die ihnen das Leben per se erst einmal bietet, nicht sonderlich mehr zu interessieren. Denn offenbar sehen sie ihren dereinstigen Lebensweg nur mehr von lauter überhohen und kaum überwindbaren Hürden vollgestellt, mit tiefen angsteinflößenden Wassergräben unmittelbar dahinter, in denen sie jederzeit versinken könnten.

Also ziehen sie in ihrem jugendlichen Alter jetzt schon einmal den Kopf ein und verharren lieber – unterwürfig und scheinbar alternativlos in den gesellschaftlichen Verhältnissen eingeklemmt – auf dem Boden der ihrer Meinung nach ohnehin nicht mehr beeinflussbaren gesellschaftlichen Gegebenheiten. Eine Existenz in offenem und unsicherem Gelände voller Potenzialitäten und Chancen scheint für sie nicht mehr vorstellbar.

Für diesen Seelenbefund spricht auch die Tatsache, dass derzeit eine Mehrzahl der Jugendlichen nach einem Dasein in der gesellschaftlichen Mitte trachten, von der sie sich ein durchschnittliches, bodenständiges und rundum abgesichertes Leben mit einem guten Job, einer Familie mit Kindern, und einem Freundeskreis erhoffen. Früher hätte man derartig eingefrorene Lebensideale wohl noch als gut bürgerlich bezeichnet, was man heutzutage allerdings Regrounding nennt und so klingt, als würde irgendjemand unablässig in der Erde buddeln, um endlich einen Schatz zu finden. Faktisch aber bezeichnet dieser pseudoaktuelle Ausdruck auch nichts anderes als seinen Lebensinhalt tiefen Herzens durch Sehnsüchte nach Geborgenheit und reaktionär-idyllische Heimatgefühle bestimmt zu sehen – träumend von einem Dasein als vorgestanzter Form bar jeglichen Inhalts, geprägt von alltäglicher Routine und Risikoscheu.

WOHLBEFINDEN STATT WOHLERGEHEN

Zu dieser erschreckend defensiven Lebenseinstellung der Kids mag auch deren Wunsch nach stetigem Wohlbefinden im Leben zu passen, der ja wohl das glatte Gegenteil von dem nach zukünftigem Wohlergehen bedeutet: Denn während die Sehnsucht nach Wohlergehen bei allem Lebensmut immer auch mögliche Enttäuschungen und Schmerzen mit einkalkuliert und dabei auch auf eine Portion Glück im Leben setzt, basiert der schräge Gedanke, sich später einmal immer wohlfühlen zu können, doch eher auf der infantilen Vorstellung, das Leben sei ein einziger, völlig konfliktfreier Wellness-Prozess.

In dieser schon frühzeitig ausgeprägten jugendlichen Lebensuntüchtigkeit aber offenbart sich auch die unterschwellige Angst, dem Leben später womöglich nicht gewachsen zu sein. Deshalb versuchen diese Kids im mentalen Reflex ihre eigenen Ansprüche an ihre zukünftige Existenz möglichst schon einmal aufs Durchschnittliche herunterzuschrauben, um dereinst bloß nicht enttäuscht zu werden.

Demzufolge wären die Kids heutzutage bereits in ihrem jugendlichen Alter auch dazu bereit, sich den gängigen Leistungsnormen von früh an tunlichst anzupassen, so die SINUS-Studie. Aus diesem Grund akzeptierten sie auch schon jene gesellschaftlichen Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit und Disziplin, was man von Jugendlichen früher allerdings so nicht unbedingt erwartet hätte.

Mit der zunehmenden Mentalitätsschwäche der Jugend aber droht der Gesellschaft eine wesentliche Energie, die sie immer wieder durchmischt und verändert, allmählich abhandenzukommen. Denn mittlerweile drängen ja schon die Jüngeren nach einem Lebensstil, der normalerweise erst die Älteren der Gesellschaft auszeichnet und sich vor allem durch Bequemlichkeit und Anpassung und dem Unwillen gegen jegliche Veränderung charakterisieren lässt.

Die Gesellschaft scheint wie auf den Kopf gestellt, und mittlerweile nur noch aus einer mehr oder weniger breiigen Mentalität zu bestehen, die die Hirne der Leute infiziert wie eine ganz andere Virus-Epidemie: So ticken gegenwärtig ja schon die Jungen wie die Alten, deren kleinmütige Lebensscheu ihr jetzt auch schon von unten entgegen schwappt. Durchtränkt von den ernüchternden Restsätzen einer überkommenen Ideologie der bürgerlichen Mitte, von der gegenwärtig - allerdings ohne Mitte und Bürger - nicht viel anderes mehr übrig geblieben zu sein scheint, als verwaistes Gelände und deren Tendenz, das Leben anzuhalten und sich in ihm bequem einzurichten - rückwärtsgewandt nach Stillstand trachtend. Mit dem latentem Hang zum Reaktionären.

VERROTTENDE WURZELN

Doch über die äußerst befremdliche Haltung der Kids dem Leben und ihrer Zukunft gegenüber sollte man nicht voreilig die Nase rümpfen, denn die gegenwärtigen, von COVID-19 beherrschten Zeiten sind extrem hart. Aber auch die Jahre zuvor hatten es bereits mächtig in sich, war das Leben doch immer konfuser, hektischer und verrohter geworden. Dabei aber wie zwangsläufig auch immer inhaltsloser und langweiliger, und dennoch immer rasanter: Rasender Stillstand (Hartmut Rosa), der die Gesellschaft mehr und mehr in Atem hielt.

Hinzu aber kam noch das gnadenlose Prinzip von Leistung und Konkurrenz um jeden Preis, dem sich jeder zu unterwerfen hatte, der nicht aus der Kurve fliegen wollte: Repräsentiert von einer praktisch alle Lebensbereiche durchdringenden Ökonomie, die mit den Jahren den frei flottierenden Fortschrittsgedanken gesellschaftlich an die Leine genommen hatte und diesen kurzerhand durch einen alles beherrschenden Technologieglauben ersetzte, der sich wie ein Religionsersatz in den Köpfen der Menschen festsetzte und die Gesellschaft sinnlich und intellektuell stagnieren ließ. Dass sich bei vielen dabei aber auch die mulmige Empfindung einstellte, die Dinge bewegten sich nur mehr im Kreis, scheinbar machtlos dem sich immer sinnloser werdenden Strudel ausgesetzt, ist wenig erstaunlich - derartige Gefühle zermürben den Lebensmut.

Von diesem dunklen Gefühlsmix aus innerer Unausgeglichenheit, tiefer Rastlosigkeit und nervös-angespannter Unzufriedenheit werden nun offenbar auch die Kids angesteckt, deren einstiger gesellschaftlicher Freiraum sukzessive dahinschwindet, weil jetzt auch dieser von der alles beherrschenden Stagnation unbarmherzig in die Zange genommen wird. So kommt es, dass sich diese in den erstarrten gesellschaftlichen Verhältnissen mehr und mehr wie einzementiert fühlen und demzufolge den Glauben an ein hoffnungsfrohes Morgen vergessen zu haben scheinen.

Da erscheint es nachgerade konsequent, wenn in der neuen SINUS-Studie die Zukunftsängste dieser Kids auch dementsprechend zum Ausdruck kommen: Später einmal nicht in den vermeintlich sicheren Sphären des Systems zu landen und, mit der entsprechenden Knete ausgestattet, ein wenigstens durchschnittliches Leben führen zu können, gälte dieser Tage deren größte Sorge, die insbesondere vor allem die Bildungsferneren unter ihnen erfasst hätte, deren Eltern einfach nicht die Mittel hätten, sie mithalten zu lassen, so die Studie. So fürchteten diese Jugendlichen bereits den sozialen Abstieg bevor dieser sie überhaupt ereilt hätte - ängstlich innehaltend und schon vor der Zeit kapitulierend.

In diesem Zusammenhang scheint die Bewegung Fridays for Future eine Hoffnung machende Ausnahme zu sein, treibt der Klimawandel die Jugendlichen doch wie kaum eine andere Generation um. Denn urplötzlich gibt es für diese da doch auf einmal ein Morgen, das ihnen allerdings wesentlich finsterer erscheint als jedes andere, das sie sich bislang vorstellen konnten - rein existentiell gesehen wohlgemerkt und beileibe nicht aus irgendwelchen politischen Gründen. Deshalb erscheint deren Bewegung auch so fixiert auf dieses Thema und blendet (selbstredend) alle anderen gesellschaftlichen Missstände einfach aus, für die es sich doch ebenfalls lohnen würde, auf die Straße zu gehen.

Aber selbst bei diesen Aktivitäten fühlten sich die Kids immer ohnmächtiger und verdrossener, da sich faktisch nur sehr wenig bewege, so die Autoren der SINUS-Studie. „Wir sind zu frustrierten Aktivisten geworden“, meint Jakob Blasel, einer der führenden Aktivisten von Fridays for Future. Warum also sollten die Kids unter diesen Umständen weiterhin um das Klima kämpfen, fragen sich deshalb viele Jugendliche, weil sie als Einzelne ja ohnehin nichts ausrichten können. So sinke der Studie gemäß auch deren Bereitschaft, sich noch wirklich zu engagieren.

Darüber hinaus aber bereite diesen auch die Migration große Sorgen, so die Autoren weiter: „Trotz überwiegender Akzeptanz von Vielfalt in der Gesellschaft verunsichert die anhaltende Zuwanderung mittlerweile auch weite Teile der Jugend", schreiben diese. So wie die Alten, so jetzt also auch die Jungen: Vor lauter Existenzangst scheint das Herz der Gesellschaft in all ihren Generationen immer gleichförmiger zu schlagen und diese insgesamt zunehmend zu lähmen. Demzufolge erstaunt es auch nicht, wenn es kaum noch wirklich tiefgreifende Alternativkonzepte zum gegenwärtigen Leben zu geben scheint. Und wenn, sind diese entweder nicht durchsetzbar oder werden kurzerhand im Keim erstickt – die Angst vor jeglicher Veränderung sitzt in der Bevölkerung und deswegen auch in der Politik mittlerweile einfach zu tief.

COVID-19

Doch jetzt hat COVID-19 dieses immer abstruser werdende Leben urplötzlich zum Stillstand gebracht. Öffentlich und privat, obwohl sich beide Sphären heutzutage schon derart durchmischen, dass es schwerfällt, überhaupt noch von einer öffentlichen Person zu reden: Aber was soll’s? Mit einem Mal wirkt die Welt nur mehr wie der Schatten ihrer selbst. Nichts scheint mehr so, wie es vor wenigen Monaten noch war. Das bringt manche zur Raserei. Sie wollen ihre Normalität zurück!

Und trotzdem scheinen überaus viele der Kids gegenwärtig keine große Feierlaune mehr zu haben, wie die SINUS-Studie betont. Folglich scheint es in der Gesellschaft also einen weitaus größeren Teil derer zu geben, die partout keinen Bock mehr auf Party haben, was die wenigen Provozierer und Randalierer unter ihnen aber, die dieser Tage wie wildgeworden Party feiern und damit in den Medien für Schlagzeilen sorgen, allerdings leicht vergessen lassen. Denn tatsächlich scheint es der Mehrzahl der Jugend ganz anders zu ergehen, kommt diese doch gegenwärtig eher ernst und besorgt daher, und hält sich lieber bedeckt, so die Studie.

Und dennoch scheint sich die tiefe Verstimmung dieser Kids im Grunde nicht auf COVID-19 zu beziehen. Denn so richtig ließen sich diese von der Pandemie nicht beeindrucken, wie die Studie anmerkt. So sorgten sich viele der 14- bis 17-Jährigen heutzutage zwar um die Gesundheit ihrer Familienangehörigen, wären aber ziemlich genervt, wenn es um die vielen Einschränkungen ginge, die sie wegen des Virus erleiden müssten.

Aber „nur wenige der Jugendlichen gaben an, dass COVID-19 der Wirtschaft oder der Gesellschaft langfristig massiv schaden werde", so die Autoren über die Ergebnisse einer Nachbefragung der Jugendlichen von Ende April bis Anfang Mai. Demzufolge ersehnen sich auch die Kids ihre Normalität zurück, deren wahren Charakter sie aber angesichts COVID-19 dem Anschein nach ebenso vergessen haben wie viele Ältere. Angesichts des Stillstands will man zurück. Wohin sonst?

„Fast scheint es, als sei der Jugend der Spaß abhandengekommen“, so die Autoren der Studie. Für ihr Seelenkostüm sei ihnen Glamour, Feiern und Konsum gegenwärtig nicht mehr so wichtig, egal, welchem Milieu man sie zuordne. Ein ausgeprägter Hedonismus sei nun wahrlich nicht mehr typisch für sie. Aber auch Provokation und Abgrenzung seien ihnen durchaus fremd geworden. „Die Ära generationsprägender Jugendkulturen beziehungsweise Jungendsubkulturen ist endgültig vorbei“, so das Forschungsteam, das mit folgenden gesellschaftstheoretischen Überlegungen endet:

„Die Befunde der Jugendstudie lassen oft schon einen Schluss auf einen zukünftigen Wertewandel in der gesamten Gesellschaft zu“, heißt es da. Die Jugendlichen seien dafür eine Art Frühindikator. So ließe sich in den Vorgängerstudien das Ende der "deutschen Spaßgesellschaft" bereits am Rückgang des jugendtypischen Hedonismus erkennen. Der Trend setzte sich nun offenbar fort hin zur bürgerlich-ernsten Gesellschaft.

AUFGESCHMISSEN

So triftig und einleuchtend die SINUS-Studie auch erscheinen mag, ihr letzter Passus ist mehr als irreführend: Denn einen Trend hin zur bürgerlichen Gesellschaft, sei sie nun heiter oder ernst, kann es eigentlich gar nicht mehr geben - die bürgerliche Gesellschaft existiert nicht mehr. Das müsste sich mittlerweile doch eigentlich auch zu den Autoren der SINUS-Studie herumgesprochen haben. Deshalb wäre es angemessen und notwenig gewesen, ein wichtiges Ergebnisse ihrer Studio auch dementsprechend einzuschätzen und zu interpretieren: Die Tatsache nämlich, dass nicht wenige dieser Kids an ein Phantom glauben, das ihnen einen Ort in der Mitte vorgaukelt, den es gar nicht mehr gibt.

Insoweit scheinen sich diese Kids da heutzutage in einer ziemlich ausweglosen Situation verfangen zu haben, weil sie ihr Leben von vorneherein auf Sand bauen. Wahnhaft einem Wolkenkuckucksheim aus nichts als Lebensangst verfallen, worin sie sich ein ewig anhaltendes Wohlbefinden erträumen, um dem Leben draußen auszuweichen. Sollten sie jedoch rein zufällig einmal ins Gelände der einstigen bürgerlichen Mitte vordringen, müssten sie sich auf Alles gefasst machen und wirklich warm anziehen, weil diese Mitte einfach nicht mehr existiert, und sie im freien Gelände dort auch nur mehr Einzelkämpfer finden würden, die das Sozialklima verpesten. Unter der Devise:

Sich vorzeitig warm anziehen.
Konflikten möglichst aus dem Weg gehen.
Bloß nicht übern Tellerrand schauen.
Oder gar auf jemanden hereinfallen.
Halte dich also möglichst aus allem heraus.
Soweit es geht.
Und bitte Ruhe und Geborgenheit.
So irgendwie.

Das ist es im Prinzip, was von der Mentalität der einst bürgerlichen Gesellschaft übriggeblieben ist: Schablonen ohne Inhalt und Sinn:

Selbstverantwortung und Achtung?
Fehlanzeige.
Zivilcourage oder Engagement?
Leere Hülsen.
Politisches Bewusstsein?
Mal so oder so.
Schlussendlich ist doch eh alles egal.
Die Dinge nehmen ihren Lauf.
Was soll man machen?

Aber auch die Behauptung, diese Jugendliche seien ein Frühindikator für die Entwicklung der Gesellschaft, war von den Autoren der Studie so nicht zu erwarten: Denn im Zusammenhang ihrer Ergebnisse, die Kids von heute wollten so sein wie alle, müssten diese eigentlich von einem Spätindikator sprechen, sehnen sich die Jugendlichen doch heutzutage - völlig überraschenderweise - nach einem eher abgesicherten, wenn auch im Gunde ziemlich verbiesterten Leben, womit das mentale Gefüge der Gesellschaft endgültig auf den Kopf gestellt wäre und in ihrer Gesamtheit vergreisen würde.

Setzten Jugendliche in aller Regel gestern noch auf Provokation und Widerspruch und plädierten für Veränderung, passen sie sich heutzutage schon im Pubertätsalter freiwillig den verhärteten gesellschaftlichen Normen an, und richten sich schon einmal in ihren Gedanken auf ein durchschnittliches, spießiges und kuschliges Leben ein, dass die Älteren ihnen als Beispielhaft vorzuleben scheinen.

Dieserart hat der demographische Wandel nun auch einen bösen Gesellen in Gestalt der geistig-mentalen Überalterung der Jugendlichen bekommen, der die Gesellschaft zusätzlich in die Knie zwingt. So fehlt ihr seit geraumer Zeit nicht nur der nötige Nachwuchs, der sie langfristig am Leben erhält, sondern darüber hinaus jetzt auch noch die Energie der Jugend, ohne die sie nun erst recht belämmert dasteht, weil ihr so auch noch deren soziale Kraft abhandenkommt.

Kein Wunder also, wenn viele der Zeitgenossen selbst in  COVID-19-Zeiten, die diese zur grundlegenden Veränderung ihres Verhaltens ja nachgerade auffordern, über die Generationen hinweg kaum reagieren. Die Falle scheint zugeschnappt. Die Menschen wollen Normalität. Die aber war gestern. So oder so.