WIEN, WIEN, NUR DU ALLEIN . . .

25. September 2017

Kürzlich machte ein Experiment der Universität Wien (Institut für Psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethodik) Schlagzeilen, das bei Männern vermutlich für Furore sorgte: „Frauen bewerten Bilder von männlichen Gesichtern als attraktiver und daten diese Männer eher, wenn sie zuvor Musik gehört haben“, ließ die Pressestelle der Universität verlauten. FOCUS Online reagierte prompt: „So erhöhen sie ihre Chancen auf einen One-Night-Stand!“, informierte das Magazin die Männerwelt.

Wow, welch bahnbrechende Erkenntnis, könnte man meinen, bricht ob der Klamotte jedoch spontan in schallendes Gelächter aus. Doch halt, die Grundlagenforscher meinen es todernst:

„Je größer die musikalische Erregung, desto größer ist der Effekt von Musik auf die sexuelle Anziehung.“ (Kurze Frage: Soll jetzt jeder Mann beim SACRE DU PRINTEMPS einen Orgasmus bekommen wenn eine Frau dirigiert?) „Musik ist Teil jeder Kultur, aber der Ursprung von Musik gibt nach wie vor große Rätsel auf. (So ist es. Trotzdem schön, dass es sie gibt!) „Warum investieren Menschen so viel Energie, Zeit und Geld in Musik?“ (Ist doch besser als in Drogen, oder?) „Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Entstehungstheorien, und einige davon betonen die biologischen und sozialen Aspekte von Musik. Charles Darwin meinte z.B. im Rahmen seiner Evolutionstheorie, dass sich Musik durch sexuelle Selektion entwickelt hat.“ (Aha Sex – der zieht immer, um in die Schlagzeilen zu kommen. Es gibt aber auch andere Theorien: Wie wär’s zum Beispiel mit der Mutter-Kind-Beziehung und dem Lullaby?) „Die motorischen und kognitiven Fähigkeiten, die beim Musizieren notwendig sind, dienen dabei als Indikator für gute Gene und erhöhen somit den Fortpflanzungserfolg. Dies ist vergleichbar mit dem Gesang von Vögeln in der Paarungszeit.“ (Welch windschiefer Vergleich, beim Menschen ist es doch genau andersherum. Hier sind nur die Frauen aufgebrezelt, und die Männer singen nicht, sondern wollen nur vögeln!) „Derzeit gibt es nur wenige empirische Befunde, die Darwins Theorie zum Ursprung von Musik stützen.“ (Wie schade. Aber jetzt kommt’s:) „Wir wollten ein neues experimentelles Paradigma anwenden, um die Rolle von Musik bei der Partnerwahl zu untersuchen. Die Attraktivität des Gesichts ist eines der wichtigsten körperlichen Merkmale, welche die Partnerwahl beeinflussen kann. Wir wollten herausfinden, wie Musik die Wahrnehmung dieses Merkmales verändern kann.“ (Ach so? Das ist doch sattsam bekannt!) „Da Musik vor allem vor der Technologisierung immer im Hier und Jetzt stattfand ...“ (Musik ereignet sich immer im Hier und Jetzt. ‚Musik befreit Zeit von Zeitlichkeit’ hat schon Novalis gesagt.) „ ... und meist im sozialen Kontext erlebt wurde, ist es plausibel anzunehmen, dass Musik die visuelle Wahrnehmung von Gesichtern positiv beeinflussen könnte.“ (Verdammt alter Zopf! Die Grundlagenforscher haben offenbar keine Ahnung von ihrem Metier: Als Ingrid Bergmann einmal von ihrer Tochter auf CASABLANCA angesprochen wurde, in dem die Bergmann an der Seite von Humphrey Bogart (Rick) und Paul Henreid (László) die weibliche Hauptrolle spielte, erzählte sie ihr, Michael Curtiz, der Regisseur, hätte sie schier in den Wahnsinn getrieben, weil er das Drehbuch erst während des Drehs konzipierte und Tag für Tag niederschrieb. So hätte sie nie gewusst, wie es weitergeht, geschweige denn, für welchen der beiden Rivalen sie sich am Ende entscheiden würde. Also hätte sie den beiden gegenüber eher neutral gespielt und sich dabei gedacht, die Filmmusik würde es dem Zuschauer am Ende schon verraten wer der Auserwählte sei!)

„In ihrem Experiment präsentierten die WissenschaftlerInnen den heterosexuellen TeilnehmerInnen instrumentale Musikausschnitte, die in Bezug auf ihren emotionalen Gehalt variierten, gefolgt von Bildern von einem gegengeschlechtlichen Gesicht mit neutralem (Sic!) Gesichtsausdruck (Schon wieder die Bergmann!). Das Gesicht wurde in Bezug auf seine Attraktivität auf einer Skala bewertet. Zudem wurde auch die Bereitschaft, diese Person zu daten, erhoben. In der Kontrollgruppe wurden nur Gesichter ohne Musik präsentiert. Es gab drei Gruppen von TeilnehmerInnen: Frauen in der fruchtbaren Phase ihres Zyklus, Frauen in der unfruchtbaren Phase ihres Zyklus und Männer. Diese Gruppen waren sich in ihren musikalischen Vorlieben und ihrer musikalischen Ausbildung, sowie in ihrer Stimmung vor dem Experiment und in ihrem Beziehungsstatus ähnlich.“ (Was man nicht alles bedenken muss, um aufwühlende Ergebnisse zu erzielen!) „Die Resultate zeigten, dass Musik zu erhöhter Attraktivität von männlichen Gesichtern und Bereitschaft zu einem Date bei Frauen führte. Die Zyklusphase hatte keinen großen Einfluss auf die Bewertungen.“ (Von wegen Paarungszeit!) „Vor allem hoch erregende und somit komplexe Musik führte zum größten Effekt im Vergleich zur Kontrollbedingung. Bei Männern konnte dieser Effekt nicht nachgewiesen werden.“

Trotz allem, der letzte Satz hat’s in sich und birgt wahrlich Sprengstoff. Denn wieder einmal bekommt der Mann sein Fett weg – und das auch noch wissenschaftlich unterfüttert. Offenbar ist er ein Ignorant und mit seinen Vogelkollegen in keiner Weise vergleichbar. Wer ist er denn, die Frauen so im Regen stehen zu lassen, wenn sie sich in aufreizende Klangwolken hüllen, um ihrem Look den ultimativen Kick zu verleihen, nur um ihn aufzugeilen? Offenbar hat er jeglichen Sinn für Romantik und betörende Musik verloren, das Weichei. Wo ist der Macho geblieben, der die Frau einst erst mal tanzen ließ, bevor er richtig zupackte – zu welchen Klängen und Rhythmen auch immer? Hat er denn vor lauter Feminismus derart Muffensausen, dass er seine erotischen Instinkte unter der Vorhaut versteckt, wenn er angemacht wird, vor lauter Angst, er könne falsch reagieren und sich lächerlich machen? Die Männer scheinen nur noch der Schatten ihrer selbst. Selbst die Spermien kommen ihnen allmählich abhanden, was ebenfalls wissenschaftlich belegt ist.

Und dennoch, hinsichtlich ihres musikalischen Affronts sollten die Männer den Frauen wenigstens etwas entgegen kommen. Und das vielleicht auch nur, um das weibliche Vorurteil, der Mann von heute sei passiv und unbedarft, endlich aus der Welt zu schaffen. Folglich sollte sich der Mann den Frauen künftig nur noch musikalisch präsentieren, wenn er geil ist. Bei Schwulen aber sollte er vorsichtig sein, das sind nämlich Männer, die auf Musik anspringen. Aber die wurden von den Forschern nasskalt übergangen, offenkundig sollte das Experiment eindeutige Ergebnisse liefern und die Sache nicht unnötig verkomplizieren.

Aber wie auch immer, um sich entsprechend zu präsentieren könnten die Heteros beispielsweise in einer Lounge ohne Muzak Platz nehmen, mit einem zweiten Handy unterm Jackett oder in der Hosentasche verborgen, aus dem supercoole Musik erklänge, von sanften, aber unerbittlichen Rhythmen unterlegt – die Frauen in der Lounge gerieten außer Rand und Band und würden sie wegen eines ONE-NIGHT-STANDS nur so umschwirren, wie das Wiener Grundlagenexperiment ja nahelegt. Auf einem Dating Portal hätte es der Hetero allerdings leichter, mit geilen Klängen und seinem Bild in der WEBCAM. Aber welcher Song wäre der richtige, welche Musik, verdammt, um die Frauen in der Lounge oder im Netz so richtig in Ekstase zu versetzten?

In dieser Frage flüchten sich die Wiener Forscher ins Vage. Offensichtlich wollen sie sich keine Blöße geben, schließlich ist Musik reine Geschmackssache, wie jedes Kind weiß: Was die eine antörnt, törnt die andere ab. Also stehlen sich die Experimentatoren aus der Affäre und werden sybillinisch: „Die instrumentalen Musikausschnitte variierten in Bezug auf ihren emotionalen Gehalt. ... Vor allem hoch erregende und somit komplexe Musik führte zum größten Effekt!“ – Musik ohne Gesang, okay! Aber was heißt „hoch erregend“? Hoch erregend kann vieles sein – ein Instrumentalmedley der Stones zum Beispiel oder Berlioz Romeo und Julia. Es kommt da eben ganz auf die Frau an. Und „komplex“? Hauptsache das Mädel hat keine Komplexe, wenn sie ihren ONE-NIGHT-STAND einfordern will.

Auch der Blick in die Studie selbst, publiziert in PLoS ONE 12(9): Marin, M. M., Schober, R., Gingras, B., & Leder, H. (2017). Misattribution of musical arousal increases sexual attraction towards opposite-sex faces in females bringt den Ratlosen nicht weiter und erhärtet den Verdacht des gewollt Nebulösen: „Eighty excerpts of 19th-century piano solo music were chosen from the stimulus set. ... This musical style was selected because it is mostly unfamiliar (!) to participants, and because we previously showed that music in this style can be used to prime the emotional processing of environmental scenes.“ 

Unfamiliar? Durften die Probanden die Musik nicht mögen, die sie eigentlich elektrifizieren sollte? Sollte sie ungewohnt, unvertraut und fremd auf sie wirken? Wie konnte sie dann sexuelle Gefühle provozieren? Waren die weiblichen Probanden allesamt Masochistinnen? Kein Wunder, dass den Männern bei den achtzig (!) Ausschnitten antiquierter Klaviermusik aus dem 19. Jahrhunderts nicht das Herz überging. Beethoven, Schubert oder Chopin sind nun alles andere als Heißmacher. War da etwa auch die Hammerklaviersonate dabei? Und die sollte die Frauen heiß gemacht haben? Warum dann nicht gleich Gregorianische Gesänge auf der Playlist, die wären zwar von vorvorgestern, aber momentan ziemlich in.

Verdammt, haben die Grundlagenforscher denn noch nie etwas von Baby-Making Music gehört? I Wanna Sex You Up von Color Me Badd beispielsweise. Der Song ist auf der Playlist von Spotify – also selbst in Wien für jedermann ohne großen Aufwand zugänglich. Die Ergebnisse wären wahrlich berauschender gewesen und die Männer mit Spaß an der Sache, soviel ist sicher.

Etwas erfreulicher hingegen mag für manche Heteros die Nachricht klingen, dass die Wissenschaftler ein neues Experiment planen: Nun wollen sie nämlich untersuchen, inwieweit „musikalische Fähigkeiten und Kreativität Schwächen in Bezug auf körperliche Erscheinung und Fitness zum Teil (!) kompensieren können.“ Das Experiment lässt hellhörig werden, bietet sich vielleicht doch bald auch den Hässlichen die Chance, allein durch Musik wenigstens teilweise etwas ansehnlicher zu erscheinen. Wie wär’s in diesem Zusammenhang beispielsweise mit dem altbekannten Song „Man müsste Klavier spielen können, wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen!“ als erotischer Stimulus? Diesen Gassenhauer ins Experiment einzubauen wäre doch mal eine Idee. Wenn der aber nicht wirkt, könnten die Männer ja die Flucht nach vorn ergreifen und sich selbst ans Klavier setzen. Klavierspielen kann man auch noch im Erwachsenenalter lernen.

Wem das aber alles nichts hilft, sollte den ganzen Kram vergessen, sich entspannt vor seinem Laptop fläzen und sich seinen Lieblingsporno reinziehen. Dabei könnte er ja mit ALEXA Dirty Talk pflegen. So was ist zwar keine Musik, aber trotzdem geil.

"Du bekommst gleich den Aal abgezogen", sagt sie im Originalton. „Ich butter dir dein Brötchen, du Dreamboy. Es wird Zeit, dass du auf der G-Saite spielst."