Gesellschaft / 20
Stuttgart 22

23. Juli 2020

Die sogenannte Stuttgarter Krawallnacht vom 20. Juni 2020 lässt viele Beobachter und Kommentatoren ratlos zurück. Denn angesichts dieser wirren Nacht bleibt ihnen offenkundig nichts anderes mehr übrig, als kleinlaut die Fahne zu strecken, da all ihre gängigen Erklärungsmodelle, die sie ansonsten schnell bei der Hand haben und eilfertig über Dinge und Menschen stülpen, auf krasse Art und Weise versagen.

Von wegen rechtsradikal oder linksradikal – die etwa 500 der vorwiegend männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden, die die Stuttgarter Innenstadt gehörig aufmischten, der jüngste 16, der älteste als Erwachsener 33 Jahre alt, passen in keine dieser Kategorien, da diesen anlässlich ihrer Gewaltexzesse irgendwelche politischen Ambitionen nicht im Entferntesten nachzuweisen waren. Aber auch sonst sucht man bei diesen Aufrührern vergebens nach benennbaren Gründen, die sie zu ihrer Randale angetrieben hätten. Ja es deutet praktisch alles darauf hin, dass deren destruktiven Aktionen überhaupt keine handfesten Motive zugrunde lagen: Es war ein Gewaltausbruch aus dem Nichts, so einer der Kommentatoren ziemlich schmallippig.

Und dennoch gibt es da einen, wenn auch nur äußerst diffusen Hinweis auf die Beweggründe dieser Kids, es den Stuttgartern mal so richtig gezeigt zu haben. Denn nach eigener Aussage fanden diese es offenbar einfach cool, ihrem Frust einmal so richtig freien Lauf zu lassen, wie diese der Stuttgarter Sozialarbeiter Gökay Sofuoglu, der Augenzeuge des Geschehens war, zitiert. Eine Coolness, die allerdings wahrhaft uncoole Folgen nach sich zog: So schmissen die Jugendlichen Schaufensterscheiben ein, plünderten Läden, demolierten Polizeiautos und schreckten auch vor schweren Körperverletzungen nicht zurück.

Die drastisch eingeschränkte Selbsteinschätzung dieser Kids, ihr eigenes Verhalten nicht mehr adäquat beurteilen zu können, macht sprachlos. Gegen einen Sechzehnjährigen unter ihnen, der einen am Boden hockenden Polizisten mit einem gezielten Sprung gegen den Kopf getreten hatte, wird nun sogar wegen versuchten Totschlags ermittelt, weil er dessen Tod offensichtlich billigend in Kauf genommen hätte. Auch das war allem Anschein nach cool.

Die eklatante Denkarmut und extreme Gefühlsverflachung, die aus diesen Jugendlichen spricht, lässt die erschreckende innere Leere erahnen, die sich offenkundig in ihnen breit gemacht hat. Aber selbst dieser geistige Notstand scheint sich ihrer Selbstwahrnehmung zu entziehen und sie kalt zu lassen. Eine penetrante und dumpf-anhaltende Langeweile scheint das Einzige, worunter sie leiden.
 
Nun wäre es aber wahrhaft ein Leichtes, die Gewaltexzesse dieser Jugendlichen vorschnell als ein gesellschaftliches Randphänomen von Testosteron gesteuerten, spätpubertierenden Outlaws abzutun, die einfach nicht anders könnten und weggesperrt gehörten. Oder, was heutzutage noch wesentlich üblicher ist, diese kurzerhand als junge männliche Flüchtlinge zu brandmarken, die eben unberechenbar und hochgefährlich seien, und ohnehin nur Unruhe und Chaos ins sonst so idyllische schwäbische Land brächten, weshalb sie mithilfe der Behörden in ihr eigenes unverzüglich zurückgebracht werden müssten.

Dabei aber lassen die Identitäten der 25 vorläufig Festgenommenen auf eine nachgerade absonderliche, sozial absolut heterogene Gruppierung von Jugendlichen schließen, die nun tatsächlich keinerlei Gemeinsamkeit erkennen lässt: So hatten zwölf von diesen die deutsche, vier weitere jeweils die kroatische, portugiesische, polnische und lettische Staatsbürgerschaft. Neun der Jugendlichen waren Flüchtlinge und stammten aus Bosnien, dem Irak, aus Afghanistan und Somalia. Fünfzehn der Jugendlichen hatten ihren Wohnsitz in Stuttgart, fünf weitere in Baden-Württemberg und je einer in Bayern und Niedersachsen, wobei drei der Inhaftierten überhaupt keinen festen Wohnsitz hatten und 15 bereits polizeibekannt waren. Bei zwölf der Randalierer stellte die Polizei Alkohol-Promillewerte von mehr als 0,64 fest. (Stand: 23. Juni 2020)

Offenbar formierte sich dieser „bunte Mix rund um den Globus“, wie es der Stuttgarter Vizepolizeipräsident Thomas Berger formulierte, völlig spontan aufgrund einer Polizeikontrolle bei einem der Kids. Folglich handelte es sich bei diesem sogenannten „Mix“ um eine reine Zufallsgruppierung, die sich allein durch den gemeinsamen und völlig diffusen Kontrollverlust charakterisieren lässt: Eine Randale ohne Sinn und Verstand – wie um ihrer selbst willen.

Doch trotz dieser absolut diffusen Symptomatik lassen sich in den Ereignissen der Stuttgarter Krawallnacht bei genauerer Betrachtung einige soziodynamische Strukturmerkmale erkennen, die beileibe nicht nur im Phänomen der scheinbar amoklaufenden Jugendlichen aufscheinen, sondern sich darüber hinaus – wenn auch lange nicht so eklatant – auch in der mentalen Verfasstheit der Gesamtgesellschaft wiederfinden lassen: Merkmale einer allgemeinen Denk- und Gefühlsverflachung nämlich, die im Verhalten dieser Kids allerdings so drastisch wie in einem Zerrspiegel erscheinen.

In einem eher laxen Kommentar eines Stuttgarter Oberstufenschülers, der in einem Straßeninterview das Gebaren dieser Kids zu beschreiben versucht, finden sich diese mentalen Verarmungsmerkmale wider dessen besseren Wissens einigermaßen triftig zusammengefasst:

„Das sind sicher wahnsinnig Frustrierte, die nach einem Ventil suchen nach dem Corona-Lockdown. Vermutlich war viel Alk im Spiel, und sie haben sich zu sehr von den Bildern von den Polizeigewaltbildern aus den USA beeinflussen lassen. Außerdem haben sie von ihren Aktionen Fotos und Videos gemacht, um damit in den sozialen Medien angeben zu können.“

INNERE LEERE

Zunächst ist da also der Hinweis auf die „wahnsinnige“ Frustration dieser Stuttgarter Kids, die wohl darauf zurückzuführen ist, dass deren chronischer Missmut an den vorwiegend prekären Verhältnissen liegt, aus denen sie kommen: Minderbemittelte bis arme Lebensumstände also, die für diese in aller Regel immer wieder schwere Enttäuschungs- und Zurücksetzungserlebnisse im alltäglichen gesellschaftlichen Miteinander mit sich bringen. Von einer wohlbehüteten Existenz im sprudelnden Alltagskonsum können diese folglich nur träumen, da sie – vom gesellschaftlichen Leben praktisch ausgeschlossen – für gewöhnlich eher in einer öden und sozial-depravierten Parallelblase so vor sich hinleben.

Und dennoch scheint die chronische Unzufriedenheit bei weitem kein Charakteristikum dieser jugendlichen Underdogs zu sein, da sich diese pessimistische Grundstimmung mittlerweile auch in den Herzen und Köpfen vieler Menschen, die durchaus im Wohlstand leben, festgesetzt hat. Das mag wohl auch daher rühren, dass das vorherrschende Leben heutzutage viel von dessen überreichen Tiefendimensionen verloren hat, die es im Grunde ja zu bieten vermag.

Darüber hinaus aber ist nicht zu übersehen, dass die Existenz vieler Menschen heutzutage nur noch von durchkommerzialisierten Oberflächenreizen beherrscht wird, was zwangsläufig zu einem entzauberten und eher eintönigen Dasein führen muss. Und in der Folge ganz unweigerlich zur allmählichen Verflachung der Empfindungsfähigkeit und progressiven Verödung des Denkvermögens. Zu einer Art geistiger Versteppung schließlich, in der – gleichsam in Analogie zu der durch den Klimawandel bedingten Ausbreitung der Wüstengebiete – die Energie des Lebendigen mehr und mehr versiegt.

Möglicherweise lassen sich in diesem geistigen Dilemma auch die Gründe dafür finden, warum sich so viele Menschen mittlerweile derart penetrant in die Arme der Maschine zu werfen versuchen, da ihnen mit dem Verlust ihrer mentalen Kräfte offenbar auch die vitale Power abhanden gekommen ist, mit den vielfältigen und manchmal sicher auch kaum zu beherrschenden Anforderungen, die das Leben an sie stellt, noch einigermaßen zurechtzukommen. So hoffen heutzutage nicht wenige gemeinsam mit einer intelligenten Maschine in eine bessere Zukunft geführt zu werden, beflügelt vom Gedanken, diese könne ihnen dabei helfen, ihre dumpfe Existenz endlich wieder in den Griff zu bekommen – angefangen vom smarten Rasenmäher bis hin zur digitalen Partnersuche

VERLOREN IM ZWISCHENREICH DES VIRTUELLEN

So ist vielen die Cyberspace-Maschine bereits zum Lebensersatz geworden: Eine genuin neutrale Maschine wohlgemerkt, die aber aufgrund der Tatsache, dass sie diese praktisch nur um ihres Ego-Trips willen missbrauchen, oder aber, um ihre Häme und Bitterkeit über deren Kanäle unablässig in die Welt hinausposaunen, deren tiefe Frustration letztlich nur um ein Vielfaches verstärkt und sie – wie in einem matten Spiegel – erst recht auf sich selbst und ihre schale Existenz zurückwirft, womit sie weiterhin einsam bleiben.

Dass diese psychosoziale Entwicklung tiefe Spuren im Zusammenhalt der Gesellschaft hinterlässt, weil diese an der digital-aufgeheizten und völlig hysterischen Kommunikation voll von Identitätsverwirrung, Missmut, Neid und Hass zu zerbrechen droht, ist gegenwärtig mehr als deutlich zu beobachten. Noch schwerer aber wiegt die Tatsache, dass das mittlerweile völlig durchseuchte Internet mit der Zeit beinahe alle Funktionen des gegenseitigen Austauschs im öffentlichen Leben übernommen hat und deshalb wie ein absurder und fratzenhafter Abklatsch desselben daherkommt: Und dennoch: Wer in der Gesellschaft heutzutage reüssieren will, entscheidet sich gegenwärtig mehr und mehr im Netz: Der Schein regiert die Welt, die Realität hat abgedankt!

Diese mental-abgekoppelte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit aber steigert auf Dauer nur den sich endemisch verbreitenden Missmut den realen Verhältnissen gegenüber, deren Bedingtheiten für viele damit immer irrealer und sinnloser erscheinen, ohne dass diese – in solch eine fatale Situation verstrickt – noch in der Lage wären, einen Ausweg aus ihrer Misere finden zu können. So rutscht ein nicht geringer Teil der Gesellschaft mehr und mehr in eine Art Identitätskrise ab – gefangen in einem Gefühlsmix aus Ohnmachtsempfindung, Desorientiertheit und Inhalts- und Perspektivlosigkeit.

Warum also sollte man die Stuttgarter Kids dafür verachten, wenn diese sich offensichtlich darum bemühten, selbst Fotos und Videos von ihren kopflosen Aktionen anzufertigen und diese ins Netz zu stellen? Allein, um wenigstens in den sogenannten sozialen Medien ein bisschen Beachtung und Anerkennung zu erheischen. Identitätslose Jugendliche, die es wie viele andere Gesichtslose in der Gesellschaft ebenso versuchten, sich im Internet zu brüsten, indem sie sich dort ein selbst verfertigtes Profil verschafften, nur um auch mal vorzukommen und so auf sich aufmerksam machen zu können. Soziale Phantome einer abgekoppelten virtuellen Welt, die den Anschluss ans Wirkliche längst verloren haben

Und dass diese Kids bei ihren Internetaktionen auch dem allgemeinen Imitationszwang verfielen, andere, die sie bewundern, im Netz nachzuäffen, kann man ihnen ebenso wenig verübeln. Denn auch diese Art von Digital-Mimikry ist heutzutage in der Gesamtgesellschaft weit verbreitet. Kein Wunder also, wenn auch diese es versuchten, im Cyberspace die Bilder der Ausschreitungen der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA nachzustellen, einzig, um ihren blindwütigen Gewaltexzess den Charakter eines durchaus berechtigten Gerechtigkeitskampfs von Unterdrückten zu verleihen. Wobei im Endeffekt allerdings nicht viel anderes mehr übrig blieb als ihr hilfloser Ruf: „Endlich ist in Stuttgart was los!“

DIE SEHNSUCHT NACH EINEM VENTIL

Dass ein derart deformiertes Leben unter den Bedingungen der COVID-19-Pandemie auf einen äußerst schweren Prüfstand gestellt wird, spricht für sich, da dieses sich im Grunde ja nur noch von Außenreizen speist, und der Welt aus dem eigenen Inneren heraus nicht mehr viel entgegenzusetzen weiß. Allein aus diesem Grund hatte der langandauernde gesamtgesellschaftliche Lockdown diese Außengesteuerten rein emotional bald an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht. Im Einerlei ihres sinnentleerten Daseins urplötzlich dazu gezwungen, sich selbst ins Auge sehen zu müssen – auf Gedeih und Verderb der eigenen inneren Leere ausgeliefert. Seelische Schiffsbrüchige einer schier unendlich währenden Flaute, gnadenlos ihrem bodenlosen Nihilismus ausgesetzt.

Dass die Lockerungen der Lockdown-Maßnahmen vor allem bei den Jugendlichen dieser Ort- und Identitätslosen bald zu spontanen Überreaktionen führen würden, war absehbar: Nicht zuletzt auch deshalb, weil diese den Stillstand des öffentlichen Lebens draußen als eine Art despotischer Freiheitsberaubung empfanden und die Gefährlichkeit von COVID-19 in diesem Zusammenhang gedankenlos herunterspielten. So glaubten diese sich bald in absoluter Sicherheit wiegen zu dürfen, weil dieses Virus ja nur die Alten betreffe: „Ich glaube nicht an diese Corona-Krankheit“, so ein 22jähriger. „Und selbst wenn: Sterben tu ich sowieso irgendwann. Und zuhause ist es einfach nur langweilig. Ich will mein Leben zurück. Schluss mit der Corona-Diktatur!“

Und genau aus diesem Grund drehen diese Jugendlichen jetzt auch völlig durch und suchen nach einem Ventil. Zu Zehntausenden drängen sie Abend für Abend auf die Plätze dieser Republik, wo sie sich auszuleben versuchen und Party feiern wollen, da vielerorts immer noch Clubs und Bars geschlossen sind. Besonders an den Wochenenden wird es eng. An der Isar und im Glockenbachviertel in München hat sich sogar eine neue Bewegung gebildet, eine Kommune in der Kommune: München bei Nacht.

Ganz ähnlich sieht es mittlerweile auch im weniger reichen Stuttgart aus. Denn auch dort fliehen nun viele der Kids nach draußen, wobei manche von denen zuhause noch nicht einmal ein eigenes Zimmer haben, wie es Martin Kapler, der in Stuttgart mehrere Jugendhäuser leitet, beschreibt: „Wo sollen die sonst hin?"

Doch das rücksichtslose Verhalten dieser Kids geht vielen unbescholtenen Bürgern in der Republik einfach zu weit, da diese mit ihren impertinente Partyexzessen deren Gesundheit leichtfertig aufs Spiel setzten, und das Virus auf diese Art besinnungslos weiterverbreiteten. Deshalb rufen diese Entsetzten nun immer öfter nach der Polizei, die nicht selten in einer Stärke wie zu Risikospielen der Fußball-Bundesliga anrückt.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn sich der Fokus dieser Kids nun auf diese Sicherheitskräfte richtet, die ihre ganze Wut zu spüren bekommen, da diese von ihnen als langer Arm eines verhassten Staates angesehen werden, der sie nicht nur ins Getto eines abgehängten und völlig bedeutungslosen Lebens verbannen würde, sondern sie darüber hinaus jetzt auch noch daran hindern wolle, ihrer Feierlaune ungehindert zu frönen. „ACAB!“ – „all cops are bastards“ – skandieren diese wutentbrannt, weil sie offenkundig nicht mehr wissen, wohin sie eigentlich gehören und nun wild um sich schlagen.

So finden diese Kids wenigstens für Augenblicke ein personifiziertes Gegenüber jener Macht, die sie ansonsten in der gesellschaftlichen Pampa verkommen lässt. Wer also ist das Opfer, und wer der Täter?

STUTTGARTER DAMPFKOCHTOPF

In Stuttgart aber, einer der letzten Festungen eines spießigen, semireaktionären und sich selbst überlebt habenden Spätbürgertums, das zwanghaft alle Energien in eine ekelhafte Ordnung zwängt, stehen die Zeichen in diesen Tagen auf absolute Konfrontation: „Gesellschaftlich driftet da etwas auseinander", meint der Stuttgarter Streetworker Serkan Bicen, der seit Jahren im Stadtteil Stammheim mit Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen arbeitet und für den die Eskalation des vergangenen Wochenendes nicht allzu überraschend kam. So habe sich dieser Sozialkonflikt in der Stadt schon seit längerer Zeit angebahnt, gibt dieser zu Bedenken.

So stünden sich „auf der einen Seite die Jugendlichen vom Eckensee, die dort feiern wollten, weil sie nicht genug Geld hätten, um in Bars und Clubs zu gehen, auf der anderen Seite einer bornierten Stadtgesellschaft gegenüber, die diese Jugendlichen zum Großteil nur als Problem begreifen würden, das möglichst bald verschwinden müsse.“ Schon länger würden ihm diese Jugendlichen berichten, dass die Polizei sie unter Druck setze", so Bicen. "Das sind normale junge Leute, die da nur sitzen und feiern, und dann stürmt eine Hundertschaft Polizisten auf sie zu und will die Ausweise sehen", sagt er. Oft laute die schroffe Anweisung der Beamten dann, nach Hause zu gehen. Wenn die Politik jetzt nur mit Strenge und Härte antworte, könne bei den jungen Leuten der Eindruck entstehen, das Leben in der Stadt finde nun endgültig ohne sie statt. Bicen glaubt, dass sich auf diese Weise ein Frust angestaut habe, der sich bei einer Polizeikontrolle am vergangenen Wochenende in Gewalt entladen habe.

Nun aber stehe Stuttgart vor einem Problem, das alle Großstädte betreffe, meint Gari Pavkovic, der Integrationsbeauftragte der Stadt. „Aber wie wollen wir künftig Kontakt halten zu Gruppen, die ohnehin abgehängt sind und den Anschluss an die Gesellschaft verloren haben. Das sei kein Problem, das Stuttgart allein habe“, so Pavkovic. Vielmehr stehe dieses Phänomen, beschleunigt durch die Veränderungen in der Corona-Krise, allen deutschen Großstädten bevor. Die Gewalt von Stuttgart, sagt Pavkovic, sei deshalb ein Signal an das ganze Land, die Verlierer in Zeiten der Pandemie nicht aus dem Auge zu verlieren. Diese aber hätten mittlerweile den Spieß umgedreht und hätten die Rolle des Underdogs und Störenfrieds bewusst angenommen und fatalerweise zu etwas Coolem verklärt: Nach dem Motto: Schaut her, wir sind auch da und wir gehen nicht weg, auch wenn ihr uns an den Rand drängt.

DIE ULTIMA RATIO VERZWEIFELTER POLITIKER

Und dennoch scheinen im Augenblick weniger die Stuttgarter Kids verzweifelt, als vielmehr die Politiker dieser Stadt, weil diese einfach nicht mehr zu wissen scheinen, wie sie mit diesen aufmüpfigen und impertinenten Jugendlichen umgehen sollen.

Jetzt aber hat der Stuttgarter Polizeipräsident Franz Lutz als Ultima Ratio eine wahrhaft erschreckende Waffe aus der Tasche gezogen: So kündigte dieser vor ein paar Tagen an, bei Tatverdächtigen mit deutschem Pass mithilfe der Landratsämter deutschlandweit Ahnenforschung betreiben zu wollen. Offenbar will dieser seelisch ausgelutschte Polizeipräsident den Deutschen unter den Kids jetzt nachweisen, nicht Deutsch zu sein, um die Schande, die sie den wahren Deutschen gebracht hätten, kurzerhand aus der Welt zu schaffen. Denn der reine Deutsche ist nicht kriminell. Migranten mit deutschem Pass hingegen schon.

Damit aber beweist nun auch die Stuttgarter Stadtpolitik jene intellektuelle und emotionale Verkommenheit, die diese eigentlich den Jugendlichen vom Eckensee unterstellen will, indem sie sich nun, ganz offenkundig mit dem Rücken zur Wand, tatsächlich anschickt, Blutdeutsche vor Passdeutschen schützen zu wollen – herz- und geistlose Maßnahmen einer grün-schwarzen Koalition, die auch noch von deren Ministerpräsidenten Kretschmann ausdrücklich gutgeheißen werden.

Am besten wäre es demzufolge also, wenn künftig schon bei jedem Ladendiebstahl echte von falschen Deutschen bis ins letzte Glied getrennt werden könnten. Denn allein Letztere neigen zur Kriminalität und sollten auf der Stelle des Landes verwiesen werden. Doch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl beruhigt: Bis zu den Großeltern werde nicht geforscht.